Eröffnungsrede von
Prof. Dr. Christoph Zuschlag

in eigener Sache :
 
falscher Opa lebte 3 Jahre länger…
 
da sowohl in der Rede des Kappesser-Urenkels als auch im Zeitungsartikel der WZ mit viel Platz, Süffisanz und Spott vermerkt wurde, dass auf den Plakaten und Einladungskarten weder das Foto den Maler Ernst Kappesser darstellt noch sein Sterbedatum stimmt,
müssen wir- Christine Hach und Willi Herwig- die Macher der Museumsplakate und Postkarten richtigstellen, dass nicht wir zu blöd waren, ein korrektes Foto und Sterbedatum auf unserem wunderhübschen Plakat einzubauen, sondern uns das Foto von Jochen Zuschlag und das Sterbedatum von Stefan Zuschlag gegeben wurde und wir dies vertrauensvoll eingearbeitet haben.
 
Das nächste Mal sind wir bei Fremddaten skeptischer!

 


Ernst Kappesser — Landarzt und Landschaftsmaler

Rede zur Eröffnung der Ausstellung im Museum im Storchenschulhaus Gimbsheim am 15. Februar 2009

Meine Damen und Herren,

als Kunsthistoriker bin ich es gewohnt, Einführungen in Kunstausstellungen zu geben. Diese Ausstellung ist jedoch etwas Besonderes für mich, weil der Künstler, Ernst Kappesser, mein Urgroßvater väterlicherseits ist und ich mit den Bildern, die Sie hier sehen, aufgewachsen bin.

Wer war Ernst Kappesser? Er wurde 1886 in Altleiningen in der Pfalz geboren und wuchs mit seinen sechs Geschwistern in Eich auf, wo sein Vater Otto Pfarrer war. Es war eine ausgesprochen musikalische und künstlerische Familie, Vater Otto beispielsweise malte und schrieb Gedichte. Ernst Kappesser studierte Medizin in Gießen. 1912 heiratete er Else Elisabeth Klöppinger aus Worms. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, darunter meine Großmutter Irmgard und mein Großonkel Wolf. Ernst Kappesser war zunächst Landarzt hier in Gimbsheim, wo er das Haus Kirchstraße 28 (mein Elternhaus) baute. 1913 übernahm er die Praxis seines verstorbenen Onkels in Eich, Hauptstraße 44. Im Ersten Weltkrieg diente Kappesser als Offizier an der Ostfront (in der Ausstellung finden Sie zwei kleine, in Russland entstandene, 1917 datierte Skizzen von Bunkern). Nach dem Krieg war er wieder als Landarzt in Eich tätig. Die Gemeinde ermöglichte Kappesser bereits in den 20er-Jahren die Anschaffung eines Röntgenapparats, was damals, zumal auf dem Land, sehr ungewöhnlich war. Ernst Kappesser starb 1957 in Eich, wo vor einigen Jahren eine Straße nach ihm benannt wurde (Todesdatum also 1957, nicht 1954, wie irrtümlich auf der Einladungskarte und dem Plakat steht. Falsch ist dort leider auch das Porträtfoto in der rechten oberen Ecke, es zeigt nämlich nicht Ernst Kappesser, sondern meinen anderen Urgroßvater, Zuschlag. Aber das abgebildete Gemälde ist immerhin ein echter Kappesser! In der Vitrine nebenan liegen einige Fotos und Briefe).

Ernst Kappesser war ein leidenschaftlicher Landarzt — und ein ebenso leidenschaftlicher Maler. Eine künstlerische Ausbildung hat er nicht genossen, sondern war Autodidakt. Auf die Frage eines Journalisten, wie er denn zur Malerei gekommen sei, antwortete er, „daß er eines Tages als kleiner Bub seinem Großvater, der in Pirmasens eine Lederfabrik besaß, beim Malen zusah. ‚Das kann ich auch‘, sagte er in kindlichem Übermut. ‚Gut‘, sagte der Großvater und gab ihm Staffelei und Farben und forderte von ihm den Beweis für seine Worte. Als er sich dann später die Arbeit des Jungen ansah, da war er so überrascht, daß er verfügte, daß sein Enkel einmal von ihm alle Malerutensilien, seine Staffeleien, seine Farben und Pinsel, erben sollte. Und so fing Ernst Kappesser [...] an zu malen“ (Wormser Zeitung, 9./10.01.54).

Mit welcher Leidenschaft er der Malerei nachging, erzählen viele Anekdoten. So wurde wohl so manche Autofahrt abrupt unterbrochen, wenn Kappesser eine besondere Lichtstimmung oder Atmosphäre in einer Zeichnung oder einem Aquarell festhalten wollte. Wieder zuhause, setzte er die Arbeit sogleich im Atelier fort. Wenn dann die Familie an die Tür klopfte, um auf die Sprechstundenzeit und das sich füllende Wartezimmer hinzuweisen, sagte er: »Da müssen die Leute eben warten. Ich muss das jetzt malen, sonst vergesse ich es.« Auch von Bauern, die mit ihren Traktoren Umwege fuhren, um den in der Natur malenden Doktor nicht zu stören, wird berichtet. Und wenn bei einem medizinischen Notfall der Doktor einmal nicht zu Hause war, schwärmte das ganze Dorf aus, um herauszufinden, wo er denn gerade malte. Außerdem zeichnete Kappesser sehr viel, auch auf Rezepte, was den Eicher Apotheker, der die Kunst Kappessers schätzte, immer wieder in Nöte brachte: Sollte er das Rezept nun bei der Kasse einreichen oder doch lieber wegen der Zeichnung darauf behalten?

Kappessers Metier war die Landschaftsmalerei. Die Landschaftsmalerei gehört — neben der Historienmalerei, dem Porträt, der Genremalerei und dem Stillleben — in den Kanon der klassischen Bildgattungen der Kunstgeschichte. Als eigenständige Gattung entwickelte sie sich im 17. Jahrhundert in den Niederlanden. Dabei gehörte es zur künstlerischen Praxis, in der freien Natur nur zu zeichnen oder zu aquarellieren, Gemälde aber nur im Atelier auszuführen. Erst die französischen Landschaftsmaler der sogenannten »Schule von Barbizon« begannen um 1830, ihre Staffeleien in die Natur zu tragen und direkt vor dem Motiv zu malen (Freilichtmalerei, plein air-Malerei). Die Maler der »Schule von Barbizon« bemühten sich darum, flüchtige Naturstimmungen festzuhalten. Sie gelten als Wegbereiter der Impressionisten, denen es ebenfalls um die Wiedergabe der unterschiedlichen Erscheinung der Dinge in wechselnden Lichtsituationen und atmosphärischen Bedingungen ging.

In dieser kunsthistorischen Tradition steht Ernst Kappesser. Wenn Sie die Bilder in dieser Ausstellung betrachten, die Landschaften an Rhein und Altrhein und vom Kühkopf sowie die dörfliche Szenen aus Westhofen, Eich und Gimbsheim, dann werden Sie feststellen, dass es Kappesser stets um die Stimmungen, um das Atmosphärische der Landschaft geht, nicht um die naturalistische Wiedergabe eines jeden Details (daher auch sein meist skizzenhafter Pinselduktus). Eine besondere Vorliebe hatte er für Himmel und Wolken, die häufig den Großteil der Bildfläche einnehmen (vgl. etwa das großformatige Bild mit dem Schiffsmanöver auf dem Rhein; Hinweis auf William Turner und Caspar David Friedrich). Meist sind Kappessers Bildwelten menschenleer. Es gibt heiter wirkende Szenen in klaren, leuchtenden Farben, bisweilen aber auch melancholisch gestimmte Bilder in gedämpftem Kolorit. Kappesser komponiert seine Bilder und Bildräume immer sehr sorgfältig. Gern verwendet er zum Beispiel das Motiv der Baumreihe, die diagonal in den Hintergrund führt und den Blick des Betrachters lenkt.

Ernst Kappesser arbeitete nicht nur mit Öl-, Tempera- und Pastellfarben, sondern schuf auch wunderbar zarte Aquarelle (zwei davon befinden sich im Museum der Stadt Worms im Andreasstift) sowie auch Linolschnitte. Anregungen für seine Linolschnitte erhielt er offenbar von dem Bildhauer und Grafiker Daniel Greiner, der ehemals zur Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt gehört hatte und seit 1906 in Jugenheim lebte. Schwierig ist übrigens die Datierung der Bilder Kappessers, weil er seine Bilder nur gelegentlich mit Monogramm und Jahreszahl versah und seinem einmal gefundenen Stil weitgehend treu blieb. Die abstrakt-informelle Kunst, die sich in den 50er-Jahren allmählich durchsetzte, blieb Kappesser zeitlebens fremd.

Kappesser wird als religiöser Mensch beschrieben, zugleich als humorvoll, fröhlich, sinnlich, gefühlsbetont und impulsiv. Seine starke Heimatverbundenheit zeigte sich in der Liebe zu den Menschen wie auch in der Liebe zur Landschaft des Wonnegaus. Seine künstlerische Begabung war vielseitig, er malte nicht nur, sondern sang, schauspielerte und musizierte (zum Beispiel spielte er Waldhorn im Posaunenchor, den er auch leitete).

In einem Nachruf auf Ernst Kappesser, erschienen am 23./24. November 1957 in der Wormser Zeitung, schreibt Friedrich M. Illert treffend, ich zitiere abschließend: »Es sind besonders die meisterlich erfaßten Rheinlandschaften, die in der Ausgeglichenheit der Farben, in der großen Linie der Komposition und in dem Duft ihrer Atmosphäre jeden Kunstfreund entzücken. Die große, weite und von einer merkwürdigen Einsamkeit erfüllte Landschaft des Rheinbogens mit ihren in der weiten Ebene aufragenden Baumgruppen und mit ihrem unendlichen Himmel, der in einem pastellfarbig durchsichtigen Kolorit mit allen Nuancen seiner vielgestaltigen Lebendigkeit gefaßt ist, war geeignet, nicht nur das Herz des Maler-Arztes zu ergreifen, sondern ihm auch den Pinsel zur künstlerischen Wiedergabe zu führen.«

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

 

Prof. Dr. Christoph Zuschlag
Institut für Kunstwissenschaft und Bildende Kunst
Universität Koblenz-Landau, Campus Landau
E-Mail: zuschlag@uni-landau.de